Zulässigkeit von Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht

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Zulässigkeit von Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht

 

I. Verfassungsbeschwerde

A. Antragsberechtigung

    1. Jedermann
        a) natürliche Personen, Ausländer, wenn sie vom jeweiligen Grundrecht erfaßt sind; auch Minderjährige; wohl auch nasciturus; bei Verstorbenen Fortführung des Verfahrens möglich
        b) juristische Personen über Art. 19 III GG, bei nichtrechtsfähigen Gebilden auch anwendbar, soweit eine gewisse binnenorganisatorische Struktur vorhanden und Fähigkeit zur internen Willensbildung: OHG, KG, politische Parteien; für ausländische juristische Personen nur hinsichtlich der Verfahrensgrundrechte, Art. 103 I, 101 S. 2 GG; nur in Ausnahmefällen bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts

    2. Verfahrensfähigkeit: grds., wenn nach BGB geschäftsfähig ist, aber auch MJ, sofern grundrechtsmündig
    3. Postulationsfähigkeit, § 22 I 1 BVerfGG: Anwaltszwang nur in mündlicher Verhandlung
    4. Prozeßführungsbefugnis: derjenige, der berechtigt ist, das Grundrecht im eigenen Namen geltend zu machen

B. Beschwerdegegenstand: jeder Akt der öffentlichen Gewalt (Judikative, Exekutive, Legislative), beachte bei Europarecht Solange-Rechtsprechung

C. Beschwerdebefugnis

    1. Behauptung der Rechtsverletzung (substantiiert)
    2. Grundrecht oder grundrechtsähnliches Recht
    3. Rechtsrelevant des angegriffenen Aktes: (-), wenn Akt überhaupt keine Rechtswirkungen entfaltet
    4. Betroffenheit des Beschwerdeführers
        a) Selbstbetroffenheit
        b) gegenwärtige Betroffenheit: bei Gesetzen erst nach deren Verkündung
        c) unmittelbare Betroffenheit: (-), wenn erst noch Vollzugsakt vorausgehen muß, Ausnahmen: bei fehlenden Entscheidungsspielraum und bei Unzumutbarkeit (beispielsweise bei Strafvorschriften)

D. Rechtswegerschöpfung, § 90 II BVerfGG
    1.  grundsätzlich bei Entscheidung letzter Instanz, gegen die kein Rechtsmittel mehr gegeben ist
    2. d.h.: jedes zulässige Rechtsmittel ausgeschöpft, kein Amtshaftungsprozeß erforderlich, schon in den einzelnen Verfahren soll eine Grundrechtsverletzung vorgebracht werden, allerdings auch kein aussichtsloses Rechtsmittel erforderlich; gegen formelles Gesetz gibt es keinen Rechtsweg
    3. Ausnahmen, § 90 II 2 BVerfGG
        a) Sache von allgemeiner Bedeutung (grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen, Rechtsklarheit für Vielzahl gleichgelagerter Fälle)
        b) schwerer und unabwendbarer Nachteil (z.B. hinsichtlich Zuteilung von Rundfunkzeiten für Parteien direkt vor einer Wahl)
        c) (ungeschrieben) materiell begründete Unzumutbarkeit: bei eindeutiger gesetzlicher Regelung oder entgegenstehende, gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung
    4. Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde: jede zumutbare Möglichkeit ausschöpfen, um Grundrechtsverletzung abzuwenden (Bsp: Gegenvorstellung bei letztinstanzlichem Gericht;  33a StPO; nicht nur Zwischenbeschluß, der angegriffen wird; ggf. auch Möglichkeit der Inzidentkontrolle von Gerichten bei Gesetzen)

E. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis: Besteht dann, wenn die Verfassungsbeschwerde ein geeignetes, erforderliches und zumutbares verfassungsprozessuales Rechtsschutzmittel für das Rechtsschutzbegehren des Klägers ist, d.h. es insbesondere kein anderes Verfahren gibt, mit dem das angestrebte Ziel leichter zu erreichen wäre. Problematisch, wenn Beschwer zwischenzeitlich weggefallen ist, dann noch zulässig wie bei Fallgruppen der FFK

F. Form, §§ 23, 92 BVerfGG
G. Frist, § 93 BVerfGG: gegen Entscheidung oder vergleichbaren Hoheitsakt: 1 Monat, bei Gesetz: binnen Jahres nach dessen Inkrafttreten

 

II. Organstreitverfahren, Art. 93 I Nr. 1GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG

A. Zuständigkeit des BVerfG aus Art. 93 I Nr. 1 GG i.V.m. § 13 Nr. 5 BVerfGG
B. Parteifähigkeit: oberste Bundesorgane (BPräs, BTag, BRat, BReg, BVers) oder sonstige Beteiligte, die aus dem GG oder der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorganes eigene Rechte haben (BTagPräs, BKanzler, BMinister, Fraktionen, Ausschüsse des BTages); nach BVerfG auch einzelne Bundestagabgeordnete sowie polit. Parteien, wenn über deren Rechte als Verfassungsorgan gestritten wird (Art. 38 I 2, 21, 5 I GG)

C. Verfahrensgegenstand: Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners mit Auswirkungen auf den Antragssteller

D. Antragsbefugnis: schlüssige Behauptung einer Rechtsverletzung oder Gefährdung, § 64 I BVerfGG
E. Form und Frist, §§ 23, 64 II-IV BVerfGG
F. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis: fehlt, wenn der Antragssteller durch eigenes politisches Handeln die gerügte Verfassungsverletzung hätte verhindern können.

G. Begründetheit: Wenn der geltend gemachter Verfassungsverstoß vorliegt und der Antragssteller dadurch verletzt ist.

 

III. abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, 76-79 BVerfGG

A. Zuständigkeit des BVerfG aus Art. 93 I Nr. 2 GG i.V.m. § 13 Nr. 6 BVerfGG
B. Antragsberechtigung: BReg; LandesReg, ein Drittel des Mitglieder des BTages (bei BReg muß Kabinettsbeschluß zugrunde liegen)

C. Prüfungsgegenstand: Gesetze im materiellen Sinne (also auch Verordnungen, Satzungen, aber auch rein formelle Gesetze, wie das Haushaltsgesetz), Gesetze immer erst ab deren Verkündung

D. Antragsgrund: Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit der zu prüfenden Norm mit dem GG

E. Form und Frist, §§ 23, 76ff. BVerfGG
F. Klarstellungsinteresse (vergleichbar mit allg. Rechtsschutzbedürfnis)

G. Begründetheit
    1. bei Überprüfung von Bundesrecht ist Maßstab das GG
    2. bei Überprüfung von Landesrecht das Bundesrecht einschließlich bundesrechtlicher Rechtsverordnungen
    3. bei Nichtvereinbarkeit: Nichtigerklärung, § 78 BVerfGG: führt zur Gesetzeskraft nach § 31 II 1 BVerfGG

H. Achtung: ggf. auch Sonderfall des Art. 93 I Nr. 2a für Bundesrat und Landtage

 

IV. Konkrete Normenkontrolle, Art. 100 I GG, § 13 Nr. 11 BVerfGG

A. Zuständigkeit des BVerfG aus Art. 100 I GG i.V.m. § 13 Nr. 11 BVerfGG
B. Vorlagekompetenz: Gerichte: die von der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt verschiedenen, unabhängigen und nur dem Gesetz unterworfenen Organe der rechtsprechenden Gewalt

C. Vorlage- und Prüfungsgegenstand: formelle nachkonstitutionelle Gesetze, nur deutsches Recht
D. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit
E. Entscheidungserheblichkeit: es muß in der anhängigen Klage bei der Entscheidung gerade auf die Gültigkeit der gerügten Norm ankommen

F. Form, § 80 II BVerfGG

G. Begründetheit: Prüfungsmaßstab bei Bundesgesetzen GG, bei Landesgesetzen Bundesrecht und GG und/oder Landesverfassung

 

V. Bund-Länder-Streit, Art. 93 I Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68-70 BVerfGG

A. Parteifähigkeit: Bund und Länder, nicht aber Gemeinden oder Gebietskörperschaften, Antrag kann von der jeweiligen Regierung aufgrund Kabinettsbeschlusses gestellt werden, § 68 BVerfGG

B. Streitgegenstand, § 68 BVerfGG i.V.m. § 64 BVerfGG: Maßnahmen oder Unterlassungen des Antragsgegner, die in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zum Antragsteller stattfinden

C. Antragsbefugnis: Behauptung einer entsprechenden Rechtsverletzung (vgl. Organstreit)

D. Form und Frist, §§ 23, 69 i.V.m. 64 II - IV BVerfGG, nach Beschlüssen des Bundesrates (in Fällen des Art. 84 IV GG) gilt nach Art. 84 IV GG i.V.m. § 70 BVerfGG eine Monatsfrist

E. Begründetheit: Prüfungsmaßstab ist das GG (Vorschriften, die das Bund-Länder-Verhältnis betreffen) und der ungeschriebene Grundsatz der Bundestreue

 

VI. Einstweilige Anordnung, § 32 BVerfGG

A. Statthaftigkeit, Art. 61 II 2 GG, §§ 53, 58 I, 105 V BVerfGG, 16 III WahlPrüfG, ansonsten allgemeine Statthaftigkeit aus § 32 BVerfGG in allen Verfahrensarten

B. Antrag (ggf. nach Ansicht des BVerfG nicht nötig, wenn es das Gericht selbst für nötig hält, allerdings das nur dann möglich, wenn Hauptsache anhängig ist)

C. Antragsberechtigung: jeder, der im Hauptsacheverfahren beteiligt ist

D. Keine evidente Unzulässigkeit des Hauptverfahrens

E. keine Vorwegnahme der Hauptsache: Ausnahme: wenn Entscheidung in der Hauptsache zu spät käme und dadurch kein wirksamer Rechtsschutz möglich und deswegen schwerer, nicht hinnehmbarer Nachteil für Antragssteller

F. Rechtsschutzinteresse (das auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gerichtet ist)

    dieses fehlt, wenn die beschwerende fachgerichtliche Entscheidung noch nicht ergangen ist oder
    wenn die Entscheidung in der Hauptsache rechtzeitig käme oder
    wenn der Antragsteller durch eigene zumutbare Maßnahmen sein Ziel erreichen könnte
G. Form und Frist: § 23 BVerfGG

H. Begründetheit
    1. Formel des BVerfG als Obersatz: Bei der Prüfung der Begründetheit haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde (oder das jeweilige Hauptsacheverfahren) erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfahrens haben diese Gründe grundsätzlich außer Betracht zu bleiben: Abwägung zwischen negativen Folgen, die jeweils bei mit der Hauptsacheentscheidung nicht korrespondierender Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz drohen würde.

    2. Anordnungsanspruch (wenn sich der Kläger im Hauptsacheverfahren durchsetzen würde) - Glaubhaftmachung

    3. Anordnungsgrund, § 32 BVerfGG: schwere Nachteile, drohende Gewalt
        a) außerdem: dringende Gebotenheit (ansonsten irreparable Mißstände) zum gemeinen Wohl

    4. Abwägung zwischen den jeweiligen Folgen, wenn einstweilige Anordnung der Entscheidung in der Hauptsache nicht entspricht - Abwägung der Interessen des Antragsstellers und dem gemeinen Wohl

 

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